top of page

Wie wohnen? Sozialpsychologische Betrachtungen

Prof. Dr. Martin Ludwig Hofmann

lehrt Humanwissenschaften.

Er ist Soziologe und Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur in Freiburg.

Hofmann.jpg

Es wird von „räumlichen Archetypen“ gesprochen, die tief in unserer kollektiven Erinnerung verwurzelt lägen. „Nur als ein Wohnender, nur im Besitz eines Hauses ... kann der Mensch sein Wesen erfüllen und im vollen Umfang Mensch sein“, sagte Otto Friedrich Bollnow ganz im Geiste der Heideggerschen Ontologie.

Auf der anderen Seite warnen immer mehr Architekturkritiker vor einem mit dieser ahistorischen Ontologie einhergehenden Rückzug in die Innerlichkeit. Sie beklagen eine damit verbundene Ideenarmut, die neue, ganz anders geartete Formen eines freieren, kommunikativeren und vielleicht auch sozialeren Wohnens nicht zu denken vermag. Schon Theodor W. Adorno – Heideggers wohl wichtigster philosophischer Antipode – hat in der Minima Moralia geschrieben: „Eigentlich kann man überhaupt nicht mehr wohnen.“ Ein solcher Pessimismus provozierte, zumal Adorno ihn noch konkretisierte: „Wer sich in echte, aber zusammengekaufte Stilwohnungen flüchtet, balsamiert sich bei lebendigem Leib ein.“

Quer zu diesen Diskursen, vielleicht auch darunter oder darüber, zeigt sich die tatsächliche Weise, wie die Mehrheit der Menschen in den Industriegesellschaften ihr Zuhause einrichtet – und die zentrale Frage zu beantworten versucht: Wie wohnen?

„Das Wohnen ist die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind“, hat Martin Heidegger vor über einem halben Jahrhundert geschrieben. Man könnte aber auch sagen: Wohnen ist ein Fetisch, der seit der Veröffentlichung dieser Heideggerschen Zeilen seine Macht über unser Begehren immer stärker ausgeweitet hat.

Während zahlreiche Magazine um ihr Leben kämpfen, sprießen immer neue Wohnzeitschriften aus den Verlagshäusern. Im Privatfernsehen lösen Einrichtungssendungen langsam die Koch-Shows ab. Und für nichts verschulden sich die Menschen in den Industriegesellschaften mehr als für die eigenen vier Wände. Nicht zufällig begann die seit fast zehn Jahren tobende globale Finanzkrise als sogenannte Immobilienblase, in deren Zentrum das Glücksversprechen des eigenen Zuhauses stand – und der Wunsch vieler Millionen Menschen, diesen Wohntraum zu realisieren ohne die nötigen finanziellen Ressourcen dafür mitzubringen.

Wie man es auch dreht und wendet: Wohnen geht uns alle an. Von manchen – nicht nur von Heidegger – als anthropologische Konstante festgezurrt, bewohnt das Wohnen auf ganz besonders intensive Weise die Räume unseres Begehrens.

bottom of page